Alles Licht, das wir nicht sehen - Roman by C.H.Beck
Autor:C.H.Beck
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783406667527
Herausgeber: C.H.Beck
veröffentlicht: 2014-10-06T04:00:00+00:00
Der Widerstandsclub der alten Damen
Madame Ruelle, die Bäckersfrau, hat eine hübsche Stimme und riecht meist nach Hefe, manchmal aber auch nach Gesichtspuder oder süßen, frisch geschnittenen Äpfeln. Jetzt bindet sie eine Trittleiter auf das Autodach ihres Mannes, fährt mit Madame Guiboux in der Dämmerung über die Route de Carentan und richtet mit einem Knarrensatz die Straßenschilder neu aus. Betrunken und lachend kehren sie in die Küche des Hauses Nr. 4 in der Rue Vauborel zurück.
«Dinan liegt jetzt zwanzig Kilometer nördlich», sagt Madame Ruelle.
«Mitten im Meer!»
Drei Tage später hört Madame Fontineau zufällig, dass der Kommandant der deutschen Garnison gegen Goldruten allergisch ist. Madame Carré, die Floristin, bindet ganze Büschel davon in ein Arrangement, das ins Château geliefert wird.
Die Frauen leiten eine Sendung Kunstseide ans falsche Ziel, drucken absichtlich den Zugfahrplan falsch aus, und Madame Hébrard, die Postmeisterin, schiebt sich einen wichtig aussehenden Brief nach Berlin in die Unterhose, nimmt ihn mit nach Hause und entzündet den Herd damit.
Sie kommen mit schadenfrohen Berichten in Etiennes Küche, dass jemand den Garnisonskommandanten fürchterlich hat niesen hören und die Hundescheiße, die sie auf die Treppe eines Bordells gelegt haben, ihr Zielobjekt, den Stiefel eines deutschen Soldaten, bestens getroffen hat. Madame Manec schenkt Sherry, Cidre oder Muscadet aus, und eine der Frauen sitzt an der Tür und hält Wache. Die kleine, gebückte Madame Fontineau gibt damit an, dass sie die Telefonvermittlung im Château für eine Stunde lahmgelegt hat, und die ungepflegte, dralle Madame Guiboux sagt, sie habe ihren Enkeln dabei geholfen, einen streunenden Hund mit den Farben der Trikolore zu bemalen und über die Place Chateaubriand zu schicken.
Die Frauen gackern begeistert. «Was kann ich tun?», fragt die uralte Witwe Blanchard. «Ich will auch etwas tun.»
Madame Manec bittet alle, Madame Blanchard ihr Geld zu geben. «Ihr bekommt es zurück», sagt sie. «Keine Sorge. Und jetzt, Madame Blanchard, nehmen Sie diesen Füller von Monsieur Etienne. Sie hatten Ihr ganzes Leben eine so schöne Handschrift, schreiben Sie auf jeden Fünf-Francs-Schein: Befreit Frankreich! Niemand kann es sich leisten, Geld zu zerstören, oder? Und wenn alle ihre Scheine ausgegeben haben, wird sich unsere kleine Nachricht durch die ganze Bretagne verbreiten.»
Die Frauen klatschen. Madame Blanchard drückt Madame Manecs Hand, röchelt und zwinkert entzückt mit ihren glänzenden Augen.
Manchmal kommt Etienne brummend nach unten, mit nur einem Schuh an, und die Küche fällt in Schweigen, während Madame Manec ihm seinen Tee kocht und auf ein Tablett stellt, das er mit nach oben nimmt. Schon fangen die Frauen wieder an, schmieden Pläne, schwatzen. Madame Manec bürstet Marie-Laures Haar mit langen, geistesabwesenden Bewegungen. «Sechsundsiebzig Jahre alt», flüstert sie, «und doch kann ich mich immer noch so fühlen? Wie ein kleines Mädchen mit Sternen in den Augen?»
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